Wochenspruch: Der Menschensohn muss erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Johannes 3, 14b.15
Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Palmarum, 5. April 2020
Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: „Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben.“ Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach: „Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.“
(Markus 14,3-9)
In diesen Tagen nehme ich die Menschen besonders intensiv wahr: Diese Distanz, wenn Nachbarn sich von Stockwerk zu Stockwerk, von Balkon zu Balkon unterhalten, wenn jeder sich an den Klebestreifen auf dem Boden vor der Supermarktkasse orientiert - bloß nicht zu nah kommen! Zugleich berühren mich Menschen emotional stärker als zuvor. So wie der Café-Besitzer, der strahlend frische Waffeln im Straßenverkauf anbietet. Lachende Menschen und ein Ort der Wärme mitten in der Innenstadt mit den geschlossenen Läden und Restaurants. Oder die große Plastikkiste vor dem Buchladen, aus der eine Frau ihre Buchbestellung abholt, eingepackt in Packpapier; sie ist überglücklich, dass der Kontakt zum Lieblingsbuchladen möglich ist. Frische Waffeln oder ein neues Buch schaffen Verbundenheit und Nähe.
Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche - eine Zeit der Extreme. Der Predigttext erzählt, wie eine alltägliche Situation plötzlich unterbrochen wird: Eine Frau überrascht Jesus und seine Jünger beim Essen. Unerhört, dass sie sich einfach in eine Männerrunde einmischt und Jesus mit kostbarstem Salböl übergießt. „Was für eine Verschwendung! Und wozu soll das gut sein?“, So schimpfen die Jünger.
Die Frau durchbricht alle Konventionen. Sie kommt Jesus ganz nah - so lange das noch geht. Sie salbt ihn zum König, denn das ist die Bedeutung dieser Zeremonie. Aber auch die Toten wurden mit Nardenöl gesalbt. Um was geht es hier also: Königswürde oder Todesankündigung? Ehrerbietung oder Trauer? Intensive Nähe? Und dann bleiben diese Worte Jesu im Raum hängen: „Mich aber habt ihr nicht allezeit.“
Die Ostererzählungen der Bibel nehmen uns Schritt für Schritt hinein in Extremsituationen, die alle Sicherheiten erschüttern. Jubel und Erschrecken, der Verrat durch die Freunde, Hoffnung auf Rettung, Schmerzen, Tod und dann die Botschaft: „Er ist auferstanden“. Auch das eine Nachricht, die für die Jünger damals absurd klang.
In diesem Jahr öffnet sich unser Alltag auf besondere Weise für all diese Erzählungen, für die Unsicherheit und die Ängste, von denen sie erzählen, und für die Hoffnung der Jünger, dass Jesus, ihr Lehrer und Freund, zurückkehren wird. Als der Auferstandene wird er ihnen begegnen, zum Greifen nah und zugleich nicht mehr von dieser Welt.
In diesem Jahr wird Ostern ganz anders werden als sonst: Keine Osterfeuer und kein Familientreffen, kein Tischabendmahl am Gründonnerstag, kein Osterlob in der dunklen Kirche, in der sich langsam das Osterlicht verteilt. Uns fehlen die Unbeschwertheit miteinander, die Nähe, der ganz normale Alltag. Dafür bekommen die Worte mehr Bedeutung: am Telefon und im Video-Chat, von einer Straßenseite zu anderen. Auch die Worte der Bibel hören und lesen wir in diesem Jahr vielleicht aufmerksamer, intensiver, weil uns die gewohnten Abläufe drumherum fehlen. So haben wir Zeit, uns die Szene vorzustellen mit der impulsiven Frau, Jesus mit den von Öl triefenden Haaren und den fassungslosen und wütenden Jüngern. Die Szene fließt über vor Emotionen – und Jesus Kommentar dazu: „Das gehört alles dazu.“ Es ist alles Teil der Geschichte Gottes mit Jesus und mit uns. Deshalb, auch wenn Ostern in diesem Jahr ganz anders für uns sein wird als sonst: Gott wird Wege finden, uns seine Gegenwart spüren zu lassen. Machen wir uns also auf den Weg hin zum Kreuz und weiter auf den Ostermorgen zu, der Zukunft verspricht und neues Leben.
Pastorin Dr. Christina Ernst
Gebet
Wir halten dir unsere Herzen hin, Jesus Christus,
wir strecken dir unsere Hände entgegen.
Wir wollten dir entgegengehen,
wir wollten mit dir laufen
und hineinziehen in deine Stadt.
Aber wir können nur mit unseren Herzen zu dir kommen.
Nur unsere Sehnsucht ist auf dem Weg zu dir.
Nur unsere Gebete.
Sie sind alles, was wir haben.
So beten wir
für die Kranken
für die, denen keine Medizin mehr helfen kann,
für die, die einsam sterben,
für die, die unter der Last dieser Tage zusammenbrechen.
Komm zu ihnen mit deiner Liebe und heile sie.
Höre uns.
So beten wir
für die Menschen,
die in Krankenhäuser und Pflegeheimen arbeiten,
in Feuerwachen und Apotheken,
in Kitas und Supermärkten,
in Laboren und in Ställen,
in Ämtern und Gemeinden.
Komm zu ihnen mit deiner Freundlichkeit und behüte sie.
Höre uns.
So beten wir
für die Menschen,
die in der Sorge dieser Tage in Vergessenheit geraten,
die Flüchtlinge,
die Opfer von häuslicher Gewalt,
die Verwirrten und Missbrauchten,
die Hungernden,
die Einsamen.
Komm zu ihnen und rette sie.
Höre uns.
Wir halten dir unsere Herzen hin
und danken dir für den Glauben.
Wir danken dir,
weil wir zu dir und zueinander gehören.
Wir danken dir
für die Zeichen der Liebe und Verbundenheit.
Wir danken dir für dein Wort und deine weltweite Kirche.
Wir wollten dir entgegengehen
und hineinziehen in deine Stadt.
Und wir erleben es:
Du gehst mit uns durch diese Zeit
Heute, in diesen Tagen der Passion,
und jeden neuen Tag.
Amen.
[Quelle: www.velkd.de]