FRE DE ACHT SCHUTZ HAFT UNG IHEIT LIEBE FRIE MEINDE GE SELLSC FAMI GE LlE WELT
Zerstückelt, Wortfetzen, Wortbilder – wozu?
An die gefallenen Soldaten und die vielen zivilen Opfer zweier Weltkriege zu erinnern ist wichtig, dafür gibt es bereits hier vor der St. Nicolai-Kirche zwei Denkmäler. Wozu denn ein Drittes? Gewalt und Unrecht beschränken sich nicht nur auf Kriege – Gewalt und Unrecht passieren hier und jetzt. Demokratie und Frieden sind keine Selbst!äufer. Demokratie und Frieden – sind sie in Gefahr??
Zurzeit durchleben wir Menschen politisch, gesellschaftlich gesehen unruhige Zeiten. Die friedlichen Zeiten, in denen die meisten von uns groß geworden sind, sind sie vorbei? Anfangs mit offenen Armen empfangen sind die Flüchtlingsströme versiegt. Ängste gehen in der Gesellschaft um. Europa schottet sich ab. Ist das richtig so, ist das gerecht? Die klein gewordene jüdische Population in Europa wird erneut grundlos angegriffen, zumeist verbal, aber auch zunehmend physisch. Ein Hitlergruß wird wieder öffentlich gewagt, ein unglaublicher Rechtsruck durchzieht die Welt, wie ein Geschwür macht es sich breit. Seien wir wachsam, setzen wir ein Zeichen.
Die Kirchengemeinde St. Nicolai-Bothfeld ist aktiv geworden, hat Künstler gebeten, ein Friedensmahnmal zu entwerfen. Die Gemeinde wollte ein Zeichen setzen – Öffentlichkeit herstellen, für den Frieden auf unserer Welt werben – vorbildlich. Sie hat sich für meinen Entwurf, die Doppelstele Frieden, entschieden.
Mittels Form, Farbe und Wort in meiner reduzierten Arbeit möchte ich Aufmerksamkeit und Neugier erzeugen. Die senkrechte Doppelstele Frieden steht symbolisch für uns Menschen, vielleicht für Mann und Frau. Der Rost-Ton, er steht für die Vergänglichkeit, das umschließende Band, es steht für die Umarmung, den Zusammenhalt von uns Menschen. Die in das Band gesetzten Worte symbolisieren das Fundament friedlichen Zusammenlebens.
Liebe Friede Achtung Freiheit Schutz
Diese Begriffe stehen stellvertretend für weitere Begriffe, die die Basis des Friedens sind: Gerechtigkeit und Gleichheit – hier sind Sie als Betrachter gefordert, aktiv zu werden, Assoziationen zu entwickeln: Was ist für mich das Fundament friedlichen Zusammenlebens?
Das zweite, imaginäre Schriftband, eingelassen in die Haut der Stelen sind semantisch gesehen zunächst positiv besetzt.
Familie Gemeinde Gesellschaft Welt
Diese Begriffe sollen aber darauf hinweisen, wo die Brennpunkte von Gewalt bei uns Menschen zu finden sind:
In der Familie – in der Gemeinde – in der Gesellschaft – in der Welt
Das umliegende zusammenhaltende Band der Stelen, schließlich, bildet mit dem trennenden Spalt der beiden Dreieckssäulen die Kreuzform, Sinnbild für uns Christen.
Pastor Dirk Rademacher mit seiner Bothfelder Gemeinde wollen mit diesem neuen Mahnmal Öffentlichkeit herstellen. Die Stele soll Ausgangspunkt sein, um mit Schulklassen, in Workshops, mit den Konfirmanden und mit Bürgern darüber zu reflektieren, wie wir ein friedlicheres Zusammenleben schaffen könnten.
Die ungarische Holocaust-Überlebende Sara Atzmon, 85 Jahre alt, die heute in Israel lebt und die ich in diesem Jahr anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Timmendorfer Strand an der Ostsee traf, sagte zu den jugendlichen Zuhörern: Ein kleines Feuer, das kann man noch löschen, aber wenn das/die Feuer größer werden, dann hält man sie nicht mehr auf.
Dieser Satz von Sara Atzmon hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, und ich hoffe, dass die Doppelstele Frieden Anstoß für uns Bürger sein wird, sich mit dem Thema Gewalt und Unrecht im Kleinen, wie im Großen auseinanderzusetzen.
Seien wir wachsam, setzen wir ein Zeichen für den Frieden, löschen wir die Feuer rechtzeitig.
Winni Schaak,
anlässlich der Enthüllung der Doppel-Stele Frieden am 11. November 2018