1911
Die heutige St.-Nicolai-Kirche ist gerade gebaut. Die Gemeinde ist stolz auf den schönen neoromanischen Neubau, der mit seinen Farben, seinem leuchtenden Innenraum beeindruckt. Nun wird es auch Zeit für eine passende Orgel.
Diese Orgel baut die Hannoversche Firma 'Furtwängler und Hammer'. Als Instrument der Romantik klingt sie wie alle Orgeln aus dieser Zeit sehr weich und umhüllt den Hörer. Der Klang vermag sich stufenlos zwischen den leisesten und lautesten Tönen des Instruments zu bewegen. In ihrem Inneren ist die damals neuste Technik verbaut: Die Verbindung zwischen den Tasten und den Pfeifen wird nicht mechanisch, sondern mittels Luftdruck gesteuert.
Der sogenannte „Prospekt“ (so nennt der Fachmann das Orgelgehäuse und den von außen sichtbaren Teil der Pfeifen) schmiegt sich an die Rundungen der Bögen des Kirchengebäudes und vor allem des Rosettenfensters ein und vollendet damit den Kirchenbau.
1977
Die „alte“ Orgel soll weg: Ihre komplizierte Technik war zu häufig störanfällig gewesen. Und viel gravierender: Ihr Klang ist aus der Zeit gefallen. Denn so wie mittlerweile die Ausmalungen in der Kirche weiß übertüncht wurden, soll nun auch der weiche, romantische Klang der Orgel weichen. Das Ideal der Zeit sind scharfe, herbe und auch etwas starre Klänge. Die Orgel soll sich präzise und exakt spielen lassen, dafür greift man auf die jahrhundertelang bewährte mechanische Technik zurück. Man glaubt, damit dem Klangideal der Barockmusik viel näher zu sein. Musik der Romantik und damit auch die Instrumente der Zeit gelten als kitschig und verpönt. Und so wird die alte, baufällige Orgel entfernt. Der Prospekt aber - und damit die Erinnerung an die romantische Orgel - bleibt bestehen, hier setzt sich der Denkmalschutz durch. So wird hinter das alte Gehäuse eine neue, rein mechanische Orgel durch die Firma 'Rensch', der Nachfolgefirma von Furtwängler und Hammer, gebaut.
2021
Vielleicht hat man es 1977 etwas damit übertrieben, die romantischen Klänge zu vertreiben. Der Klang der Orgel ist anstrengend und unangenehm: Sie ist laut und schrill, unterstützt die Gemeinde nicht beim Singen, sondern überschreit sie eher. Zwar hat der Kirchenraum mittlerweile wieder sein altes Angesicht zurückerhalten, aber der Klang der Orgel harmoniert nicht mit dem wieder in warmen Farben gestalteten Raum. Der Orgelfachmann hört sofort, und viele andere spüren es vielleicht, dass diese Orgel nicht so recht in diese Kirche passt. Ihr fehlt die romantische Klangfarbe. Daran soll sich etwas ändern!